Claudia Haak 


Psychologie



Was wirklich zählt
Laut Zukunftsforscher Matthias Horx beschleunigt die Krise einen Wertewandel in der Gesellschaft. Sie weckt viele unterschwellige Sehnsüchte nach einer Welt, die einfacher und weniger ökonomisch ist. Man stellt sich dadurch stärker die Frage: Was macht das Leben eigentlich gut und lebenswert? Was macht uns eigentlich wirklich glücklich? Eigentlich hat das doch schon viel früher angefangen, meint Professor Berthold Vogel. „Diese Krise ist ein Katalysator für ein Unbehagen, das wir schon viel länger spüren“, sagt der Gesellschaftswissenschaftler vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Es kam mit dem veränderten Arbeitsmarkt, den unsicheren Jobs, den befristeten Verträgen, der Zeitarbeit, der Generation Praktikum, dem Abbau der Sozialsysteme, Hartz IV. Prekäre Zustände, die nicht länger nur Menschen am Rande der Gesellschaft betrafen, sondern den Mittelstand erreichten. „Gleichzeitig sind aber auch die Anforderungen an den Einzelnen gestiegen“, sagt Vogel. Höhere Anforderungen in einer brüchigen Arbeitswelt. Das erhöht den Leistungsdruck, nimmt das Gefühl von Sicherheit, kurbelt den Konkurrenzkampf an. Da stellen sich viele die Frage: Will ich meine ganze Existenz nur noch der Arbeitswelt widmen?

Ein Begriff der in den vergangenen Jahren entstand ist „Downshifting“. Die Bedeutung, die dahintersteckt:  Einen Gang runterschalten, weniger arbeiten, auf die Karriere pfeifen, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, weniger Einkommen, aber mehr Lebensqualität, halbtags arbeiten statt Herzinfarkt. „Um Erster zu werden, braucht man viel zu viel Energie“, sagt Eckhart von Hirschhausen. Denn Erster zu werden, nach ganz oben zu kommen, das sei in Zeiten der Globalisierung verdammt aufreibend. „Früher reichte es, das beste Pferd im Stall zu sein, die Schönste im Dorf, der Krösus der Gemeinde. Heute vergleichen wir uns mit Global Players und müssen dabei verlieren.“ Nicht mehr ganz nach oben wollen? Nicht mehr höher schneller weiter? Ist das vielleicht „out“?

„Wir waren sehr lange auf das rein Materielle fixiert. Das fühlt sich zunehmend hohl an“ sagt Glücksforscher Karlheinz Ruckriegel. Er ist weder Philosoph noch Psychologe, sondern Volkswirt. Das Glück erforscht der Professor der Fakultät für Betriebswirtschaft an der Georg- Simon-Ohm-Hochschule in Nürnberg. Auch die Ökonomie habe bisher ihre Theorien im Wesentlichen darauf gebaut, dass mehr Wachstum und Wohlstand der einzig wahre Weg zum Glück des Einzelnen seien. „Doch in letzter Zeit merken auch die Ökonomen: Da gibt es doch auch noch etwas anderes.“ Das sei eine neue Entwicklung“, meint Ruckriegel. „Vor ein paar Jahren hat das noch niemanden interessiert.“ Geld alleine macht nicht glücklich – vorausgesetzt man hat schon etwas. Dass weiß man nicht erst seit Dagobert Duck.

In Langzeitstudien zum Zusammenhang zwischen Wohlstand und Glücksempfinden fand man heraus: Auch, wenn das Bruttosozialprodukt in den Industrienationen in den vergangenen Jahrzehnten stetig wuchs, wurden die Menschen dort nicht glücklicher. Man nennt es das „Happiness-Income-Paradox“. Ab einem Pro-Kopf-Einkommen von 13.000 Dollar macht Geld demnach nicht mehr glücklicher. Mit steigendem Einkommen, steigen auch die Ansprüche, so dass daraus keine größere Zufriedenheit erwächst. Wachstum macht nicht happy, sagen die Glücksforscher. Trotzdem ist es für Politiker immer noch das höchste Ziel. „Wir müssen jetzt eine Politik des Schrumpfens lernen“, meint Gesellschaftsforscher Berthold Vogel. „Das ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft.“ Schrumpfen und dabei glücklich sein – kann das gehen? Schwierig. Denn zur Lebenszufriedenheit trage auch die Zuversicht bei, dass man das, was man gegenwärtig hat, auch an seine Kinder an kommende Generationen weitergeben kann. Die Großeltern und Eltern, die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen lebten in der Hoffnung auf mehr Wohlstand, dass es ihren Kindern mal bessergehen würde. Und so kam es ja auch. Doch jetzt fühlt sich Zukunft nach absteigendem Ast an. Die öffentlichen Kassen sind leer.

Und mit dem Glück ist es ja bekanntlich so: Den Wert vieler Dinge erkennt man erst, wenn sie weg sind. Das gilt auch für Spielplätze, öffentliche Schwimmbäder, ordentliche Radwege, Schulen, in denen Kinder sich wohl fühlen, Museen und Theater. Etwas, das bereits seit vielen Jahren an vielen Orten verfällt, rostet, verschwindet und geschlossen wird, uns aber doch noch recht selbstverständlich ist.

Das Glück zu finden im 21.Jahrhundert scheint also gar nicht so einfach. Warum sonst verließen so viele Deutsche in den vergangenen Jahren ihre Heimat wie noch nie, um es in einem anderen Land zu suchen. Die Daheimgebliebenen schauen die Auswanderer-Reportagen auf etlichen TV-Kanälen. Auswandern, wegziehen, scheint aber auch keine Lösung. „Ob man für einen vermeintlich besseren Job in eine fremde Stadt zieht, sollte man sich gut überlegen. Mobilität verursacht massive soziale Kosten. Wenn es einem möglich ist, sollte man immer dableiben, wo Familie und Freunde sind. Denn da liegt laut Glücksforschung ein Schlüssel zum Wohlbefinden. „Der Wert von Materiellem, einem Auto zum Beispiel, nutzt sich ab“, sagt Ruckriegel. Er sei statisch. „Auf Dauer tödlich langweilig.“ Und bald hat der Nachbar schon wieder was Besseres. Beziehungen zu Menschen, Freundschaften brächten dagegen immer neue Aspekte. Eigentlich wissen wir das ja auch. Mehr denn je. Fragt man die Deutschen, was sie sich für die Zukunft wünschen, kam heraus: Sie wollen mehr Gemeinsinn und Zusammenhalt. 85 Prozent der Befragten einer Studie der Bertelsmann-Stiftung meinten, dass die Krise insbesondere die Solidarität zwischen Alten und Jungen wieder stärker in den Blick rücken sollte. Familie ist den Deutschen am wichtigsten. Das sagen sie immer wieder in irgendwelchen Umfragen. Im wahren Leben verhalten sie sich ganz anders: Sie kriegen immer weniger Kinder, leben immer häufiger alleine, noch nie gab es so viele Singles wie heute. Auch das liest und hört man jede Woche irgendwo. Dazu gibt es die bekannte Bevölkerungspyramide. Oben breit, unten schmal. Demografischer Wandel steht drüber.

Fortpflanzen – schön und gut, aber nicht so einfach, denn die spärlichen Stellenanzeigen verlangen, dass man mobil und flexibel ist. Arbeitslosigkeit ist einer der größten Glückskiller überhaupt. Also geht man dahin, wo man welche bekommt. Er in Hamburg, sie in Köln. Die Anstellung ist nur befristet. Danach? Wird es einen sicheren Kita-Platz geben, wenn sie wieder arbeiten will? Mit Bring- und Abholzeiten, die sich mit dem Job vereinbaren lassen? Die Großeltern leben schließlich 600 Kilometer entfernt. In mobilen Lebensläufen sind soziale Netzwerke recht wurzellos. Ungebundenheit heißt auch Bindungslosigkeit. Denn wer sein Glück in der Karriere sucht, in einem großen Unternehmen arbeiten will, sollte vor allem eins sein. Auf Zack. Turbo beim Abi, fix beim Bachelor, schnell drei Praktika, und ein paar Auslandsaufenthalte, ruck, zuck, den Master, jung zum Vorstellungsgespräch, lebenslang lernbereit, so schnell wie das Wissen rund um den Globus durch das Internet saust.

Meister Han Shan geht dafür ziemlich langsam. In einem Kölner Hotel empfängt er Journalisten zum Interview. Wer neben ihm her durch die Lobby schreitet, drosselt automatisch seinen Schritt, weil sich der Mann in dem weißen weiten Gewand so bedächtig und langsam bewegt, dass man sich selbst auf einmal ganz hektisch vorkommt. Früher hieß er mal Hermann Ricker, erzählt er dann. Mit einem hessischen Akzent, ganz kernig, als hätte man ihn gerade an einem rustikalen Tresen getroffen. Damals war er Millionär, hatte mehrere Firmen in Asien, die Millionenumsätze machten, ein Haus in Hongkong, eine Wohnung in Penang, ein Penthouse in Singapur, eine Yacht. Er war glücklich, so dachte er. Mit seinem Jaguar stieß er nachts mit einem Laster zusammen, der Wagen überschlug sich. Wie durch ein Wunder überlebt er den Unfall unverletzt. Doch danach konnte Hermann Ricker nicht mehr richtig glücklich sein. „Das konnte doch nicht das wahre Leben sein – Geschäfte machen, in Sportwagen vor sich hinträumen, auf Yachten, in Penthouses das bisschen Freizeit zu verbringen“, erzählt er. „Was sollte mir das denn bringen, wenn ich nichts davon festhalten kann?“ Sein Millionen-Dollar-Imperium überschrieb er zwei Mitarbeitern, sein Privatvermögen, seine Besitztümer verschenkte er. Er wurde Bettelmönch in Thailand. Auf einer einsamen Insel meditierte er bis zu zwölf Stunden am Tag. Heute geht er nicht mehr in Unternehmen, um Geld zu machen, sondern um dass unter die Führungskräfte zu bringen, was ihm durch sein Mönchtum das wahre Glück gebracht habe: Achtsamkeit. Mit Managern spricht er über einen neuen „Code of Conduct“, so nennt er es. „Die alte Art zu denken wird nicht mehr lange halten“, meint er. „Wir müssen in den Unternehmen neue ethische Werte etablieren.“ Das Bewusstsein, dass jeder Teil eines Ganzen ist, jeder darin mit seinen Stärken seinen Beitrag leistet, die Arbeitswelt wie eine Familie funktionieren kann, in der sich alle wohl fühlen. Wir müssen Leute fördern, die nicht lügen, die gut zusammenarbeiten, statt die zu fördern, die die anderen ausspielen und unterdrücken.

Achtsamkeit –das ist für viele Deutsche kein neuer Begriff. Sie hören ihn, wenn sie nach der Arbeit auf ihre Yoga-Matten hetzen, um eine Stunde lang nur ihrem Atem zu lauschen. Den Stress holt man sich im Job, den Ausgleich nach Feierabend. Einatmen – ausatmen – Zeit anhalten – in sich reinlauschen – seinen Körper wahrnehmen – negative Gedanken loslassen. Denn für seine Work-Life-Balance hatte bislang nicht der Chef, sondern immer noch jeder selbst zu sorgen.

Das könnte sich bald ändern, meint Karlheinz Ruckriegel, der das Glück erforscht. In seinen Vorträgen spricht er von einer „Wiederentdeckung des Menschen in der Ökonomie“. Manager würden bereits auf der Grundlage der Erkenntnisse der Glücksforschung ausgebildet, in Harvard sei dies schon fester Bestandteil der Lehre. Alles, was dort gepredigt wird, setzt sich irgendwann durch. Denn glückliche Mitarbeiter seien leistungsfähiger, würden seltener krank, engagieren sich mehr, seien kreativer, freundlicher zu den Kunden und arbeiteten besser im Team.